Werkbetrachtung

Von Dr. Ingrid Gardill, Kunsthistorikerin ©

BASIS UND GENAUE BEOBACHTUNG

Betritt man das Atelier des Zeichners, Grafikers und Malers Klaus Soppe befindet man sich in einer ganz eigenen Welt. Der Besucher ist umgeben von Werken, die das ernsthaft-tiefe Ringen um die Gesetzmäßigkeiten von Zeichnung und Malerei und ihrer Ausreizung spürbar werden lassen – die handwerkliche Virtuosität, die der Künstler ganz selbstverständlich einbringt, rührt unter anderem von einer fundierten Ausbildung zum Plakatmaler und Kalligraphen. Die Arbeiten sind dabei deutlich geprägt von der Lust und nahezu unbändigen Freude am Entdecken und Experimentieren. Das erklärt auch die rasante Entwicklung von der kontrastreichen, hyperrealistisch klassisch-figürlichen Malerei hin zur freien Kombination und dem Spiel mit den Komplementärfarben, vor denen sich je nach Umsetzung manches Motiv beinahe auflöst oder auch plastisch in den Vordergrund tritt.

Dabei findet sich in jedem der Gemälde eine Prise Ironie und Humor – Klaus Soppe war schließlich Meisterschüler und Mitarbeiter des Rebellen, Fluxus- und Konzeptkünstlers Robin Page an der Akademie der Bildenden Künste München. Durch ihn hat er nicht nur tiefen Einblick in die Techniken der Malerei erhalten, sondern auch erfahren, wie wichtig und notwendig es ist, mit dieser soliden Basis im Gepäck immer wieder neue Wege in die Leichtigkeit zu gehen.

Seine Inspiration findet der Künstler im Alltag. Als gesellschaftspolitisch wacher Mensch ist ihm aufgefallen, wieviel Würde manche der Obdachlosen in den Städten ausstrahlen. Um dieser Beobachtung auf den Grund zu gehen, hat er sich mit ihnen unterhalten und sie gebeten Modell zu stehen. Daraus entstand die ausdrucksstarke Portraitserie der „Stadtstreicher“ mit insgesamt 9 Bildern. Sie beleuchtet das jeweilige Wesen der Menschen und verleiht ihnen einen fast feierlichen Duktus.

 

FARBEXPERIMENTE UND KOMPLEMENTÄRMALEREI

Nach der Jahrtausendwende hat Klaus Soppe sich immer stärker mit dem Phänomen von Farbwirkung auf die Wahrnehmung auseinandergesetzt. Rückenakte in Serie entstanden, deren Lebendigkeit der Hautoberfläche von kontrastreichen Kalt-Warm-Tönen herrührt. Er setzt sie auf einen monochromen Hintergrund, den er teilweise mit dem Komplementärton strichelt (z.B. Blau / Orangerot). Dies erzeugt zunächst ein Flimmern, das sich erst in der Distanz auflöst und den Blick auf einen atmosphärisch wirksamen Raum freigibt. Der besondere Effekt aber besteht darin, dass sich der Rückenakt plastisch so stark heraushebt, als wäre er zum Greifen nah. Das dreidimensionale Erscheinungsbild wird ausschließlich durch die komplementären Raster erzeugt. Die herausragende Modellierung erreicht der Maler weniger mit hell-dunkel-Abstufungen als vielmehr durch Kalt-Warm-Kontraste.

Angeregt durch die Apfel-Stillleben von Paul Cézanne folgten Fingerübungen und weitere Farbversuche mit den Komplementär-Rastern. Dabei bringt Klaus Soppe, ähnlich wie die Pointilisten, die reinen Farben durch gezielte Setzung im Raster zum Leuchten. Auch in dieser Serie namens „Variationen von Pauls Äpfeln“ verwendet der Künstler häufig kräftige, fast grelle Farbtöne, die an die Popart erinnern. Folglich bezeichnet er selbst seine Malerei augenzwinkernd gern als Pop-Neo-Impressionismus.

 

THEMEN AUS DER KINDHEIT

In „Utopia“ lächelt uns der Künstler als kleiner Junge an, umgeben von Spielsachen, symbolischen Gegenständen und vor einer Leinwand sitzend, die wiederum die Brücke zur Gegenwart schlägt. Das Phantombild des Vaters, den der Künstler nie kennenlernen durfte, legt schützend die Hand auf seine Schulter. Der Wunsch nach Geborgenheit und Anerkennung zugleich aber auch die Versöhnung mit der Vergangenheit werden im Bild lebendig. Das Kind auf der Leinwand zeigt Klaus Soppes älteren Bruder, den er im Werk „Mutiger Junge“ in einem Augenblick festgehalten hat, als er sich einer Gefahr mutig mit dem Messer entgegenstellte. Hier ist ein kurzer, aber prägender Moment der Biografie in erschütternd drastischer Weise eingefroren. Noch weiter zurück in die Vergangenheit geht „Operation Hurricane“, das als Hommage an die Mutter des Künstlers zu lesen ist. Es zeigt diese als junge, schwangere Frau im Himmels-Lichtkegel, während um sie herum Bomben auf die Ruinen von Duisburg fallen. Dieser Luftangriff der Alliierten galt als einer der schwersten in Deutschland. Klaus Soppe weckt darin Erinnerungen an die Erzählungen der Mutter und Großmutter, die viele Nächte im Luftschutzbunker Zuflucht suchten. Aber nicht als Opfer, sondern als strahlende Frau, die das alles gemeistert hat, stellt er sie da. Der zart lasierte, stellenweise transparent wirkende Farbauftrag kontrastiert zugleich symbolisch mit dem pastos-einfarbigen Bombenhagel, der aus den Raster-Strichelungen im Hintergrund hervorgeht.

 

BIOGRAFISCHES ERZÄHLEN

Doch beim „Hunger nach Farben“ und dem gekonnten Ausloten ihrer Wirkung bleibt der Künstler nicht stehen. Die Wahl der Motive, die er mit seiner immer weiter entwickelten Technik in Szene setzt, ist mindestens ebenso wesentlich. Hier schöpft Klaus Soppe aus der Quelle seines eigenen Lebens. Er leuchtet die Tiefen seiner Geschichte aus, mit ihren Lichtern, Schatten und Verwerfungen. Im Prozess der künstlerischen Auseinandersetzung lässt sich das eigene Verschüttete wieder erwecken und dabei oft bewältigen. Die vielfachen Zeit- und Erzählschichten verdichten sich in den Gemälden durch unterschiedliche Raum- und Wahrnehmungsebenen und symbolische Metaphern. Jene Art des bildhaften Erzählens erinnert an die der Leipziger Schule um Neo Rauch. Doch Klaus Soppe hat darin seinen unverkennbar eigenen Stil ausgebildet.

 

LICHTEFFEKTE UND REDUKTION

Weniger dramatisch, doch ebenso virtuos inszeniert und künstlerisch umgesetzt zeigt sich das große Querformat „Parallelwelt“, in dem ein junges Mädchen neugierig durch den Briefkastenschlitz einer Haustür blickt. Der helle Lichtschein aus der Wohnung fällt über ihr verlorenes Profil und rückt das Werk ganz in die Nähe der Chiaroscuro-Malerei der niederländischen Caravaggisten des 16. Jahrhunderts, die Hell-Dunkel-Effekte so einsetzten, dass die Gesichter der Protagonisten von einer verdeckten Lichtquelle intensiv angestrahlt wurden. Zugleich erreicht Klaus Soppe damit eine besondere Stimmung von Intimität und Geheimnisvollem in der Szene. Aber nicht nur die Dramaturgie des Lichts überzeugt, sondern auch die vielen kleinen Details, die, unter Weglassung alles Unwichtigen, meisterhaft ausgeführt sind.

Umso überraschender ist, wie der Künstler dies alles bewältigt, obwohl er zugleich seine Palette auf nur noch 4 bis 5 Farbwerte reduziert hat. Mit dieser Begrenzung wiederum schafft er eine überaus beeindruckende Klarheit, die seine Kompositionen regelrecht leuchten lassen. Klaus Soppe gelingt es zudem, zwischen gerastertem, ornamental anmutendem Hintergrund und realistisch ausgeführter Figürlichkeit Spannung zu erzeugen, die feine Transparenz der Gemälde zu erhalten, den aus der Zeichnung kommenden, sensiblen Strich für die Malerei zu nutzen und dabei die Grenzen der Farbenlehre experimentell-lustvoll auszuweiten. So beschenkt er den Betrachter mit einem virtuos unkonventionellen, erzählerisch fesselnden Oeuvre.